Intro
Am 21.04.2022 hat ich in Teil 9 meiner Restless-Legs-Odyssee davon berichtet, dass ich auf den erlösenden Anruf aus der Klinik warten würde. Nach 4 Wochen sollte ich laut Beschreibung zur vorstationären Aufnahme anrufen können, um ggfs. einen Termin erfragen zu. Da noch Osterferien waren, wollte ich bis Montag, 25.04., warten. Und das Warten hatte sich gelohnt.
Der Anruf
Am 25.04.2022, es muss so gegen 13.30 Uhr gewesen sein, erhielt ich über eine unterdrückte Rufnummer einen Anruf auf dem Handy. Mir war sofort klar, dass das die Klinik sein musste, denn es sollte die Oberärztin der Station Anastasia persönlich anrufen. Die Dame war sehr freundlich, bat mich aber am nächsten Tag, also am 26.04.2022, um 9.30 Uhr in der zentralen Aufnahme zu erscheinen. Potzblitz, darauf war ich nicht wirkich gefasst und kam sofort ins Schleudern. Es mussten die Sachen für einen 6- bis 8-wöchigen stationären Klinikaufenthalt zusammengesucht und in einen Koffer gepackt werden. Was würde ich in der Freizeit machen? Was? Was? Stress war angesagt.
Natürlich nutzte ich die Chance in die Klinik zu kommen. Auch wenn es noch so hektisch war. Letztlich würde ich mit kleinem Handgepäck morgens dorthin fahren, damit meine Frau am späten Nachmittag den in aller Eile gepackten Koffer, und noch einiges anderes, dann nachbringen konnte.
Der Effekt
In der vorherigen Woche hatte sich mein Einschlafverhalten leicht gebessert. Mit meinen Methoden konnte ich relativ gut einschlafen, ohne dass mir die unruhigen Beine und Arme zur Last fielen. Diese Situation kannte ich schon aus den vorherigen Wellen. Ich freute mich darüber einschlafen zu können. Auch wenn ich dann spätestens 3 Stunden später wieder aufwachte und nicht wieder einschlafen konnte. Aber die unruhigen Beinen waren weg.
Nach dem Anruf der Oberärztin am Montag war die Nacht auf Dienstag eine Katastrophe. Der Stress, der durch den Anruf ausgelöst wurde, war wohl zu viel für mich. Ich konnte nicht einschlafen. Die Beine und die Arme waren so unruhig wie schon seit Tagen, oder besser Nächten, nicht mehr. Ich war vollkommen aufgelöst, hektisch, am Rande eines Heulkrampfes. Ich wusste überhaupt nicht, was auf mich würde zurollen. Ich musste in die Klapse. In die Nervenheilanstalt. Alle würden es wissen und mit dem Finger auf mich zeigen. Ich hatte große Angst. Und ich war alleine.
Die Aufnahme
Aus einem inneren Drang heraus fuhr ich früher mit der S28 als eigentlich notwendig. Das war aber sehr gut so, denn die S-Bahn hatte schon wieder mächtig Verspätung. Ein Elend ist das mit diesem ÖPNV, wenn man darauf angewiesen ist. Vom Hauptbahnhof in Neuss machte ich mich dann auf den ca. 2,3 km lange Weg. Ich versuchte mich etwas zu beruhigen, denn die Aufregung seit dem Anruf von der Oberärztin war nicht gewichen. Meine Sorge, dass die unruhigen Beine nach ca. einer Woche des Waffenstillstands zurückkommen würden, war gleichfalls groß. Dazu gesellte sich dann spontan noch der Gedanke an den Zimmernachbarn. Alle Zimmer waren 2-Bett-Zimmer, also würde ich mit einem mir unbekannten Menschen über Wochen zusammen sein müssen. So dachte ich.
Die Aufnahmeprozedur dauerte dann ca. eine Stunde. Größtenteils bestand sie aus Warten. Es wurde nur Blut abgenommen, Schnelltest und PCR-Test gemacht und ein EKG geschrieben. Die Unterlagenformalitäten waren auch sehr schnell erledigt. Also wartete ich trotz großer Unruhe und großem Unbehagen geduldig auf die Person, die mich dann auf die Station Anastasia bringen würde.
Die Station Anastasia
Die Klinik hat offene und geschlossene Bereiche. Je nach Schweregrad der Erkrankung und der Symptome wird man entweder “weggesperrt” - im wahrsten Sinne des Wortes - oder man kommt auf eine offene Station. Die offene Station ist im Grunde genommen für Menschen, die freiwillig, auch wenn die Einweisung als Notfall deklariert ist, da sind, um sich behandeln und therapieren zu lassen. Dementsprechend viele Freiheiten, neben einigen notwendigen Regeln und “Verboten”, kann man genießen.
Die Quickfacts zu der Station sind:
- 15 Zimmer
- max. 30 Patienten (zwei Zusatzbetten werden vorgehalten)
- zwei Gruppenräume (Speisesaal mit Aufenthaltscharakter und ein Therapie-/Gruppenraum)
- ein Pflegestützpunkt für die Pflegeteam
Was ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht wusste war, dass am Dienstag immer sehr viel los war, denn dann wahren die Therapeutinnen und Therapeuten auf der Station. Dementsprechend wuselig war es und ich bekam schon Beklemmungen. Von der Dame, die mich auf die Station geführt hatte, wurde ich an eine andere Dame, die zum Pflegeteam gehörte, übergeben. Ich merkte sofort, dass die Einführungen von Neulingen ein tagtägliches Geschäft war. Routiniert wurde ich durch das Gewusel in mein Zimmer gelotst. Irgendwie war ich schon glücklich, dass ich der erste im Zimmer war, denn die Dame wusste mir zu berichten, dass das Zimmer mit zwei Neuankömmlingen besetzt würde. Ich war also der erste, der sich das Bett und den Schrank aussuchen konnte.
Der Schrank hatte kein normales Schloss, sondern wurde mit Scheckkarten, die codiert wurden, geöffnet und geschlossen. Im Schrank selber war dann noch eine fahrbare Garderobe, in der auch ein kleiner Tresor eingelassen war. Dieser wurde ebenfalls mit der Scheckkarte geöffnet und geschlossen.
Mein Bett war ein klassisches Pflegebett zum Fahren und einer Bedienung für die Einstellung der Liege-/Sitzposition. Abgerundet wurde das Nachtlager von einem typischen Nachttisch auf Rädern und dem obligarotischen Klappbrett, wie man es überall in den Krankenhäusern findet.
Die Besonderheit im Zimmer
Als ich das Zimmer betrat staunte ich nicht schlecht als ich ein Möbel entdeckte, dass mich direkt an eine Wickelkommode denken ließ. Der zweite Blick fiel dann auf ein Kinderbett mit Holzgitter. Huch, wer sollte denn darin schlafen. Die Dame, die mich auf das Zimmer führte, erklärte mir, dass es zwei Zimmer dieser Art gäbe und es dann und wann dazu kommen würde, dass Mütter (von Vätern erzählte sie nichts) mit Kleinkindern, für die es ein spezielles Programm auf der Station gab, gelegentlich in diesem Zimmmer untergebracht würden. Seit dem Coronaausbruch jedoch war das nicht mehr geschehen.
Die Wickelkommode wurde mit einem weißen Laken abgedeckt.
Ich hatte mich dann für das Bett entschieden, welches nicht direkt von der Eingangstüre aus zu sehen war. Direkt am Eingang war links die geräumige Nasszelle und rechts dann eben die Schrankwand für 3 Personen (also incl. Kind). Das zweite Bett war direkt gegenüber der Eingangstüre und quasi öffentlich einzusehen. Das wollte ich so in der Form nicht.
Das Erstgespräch
Nachdem mir die Dame vom Pflegeteam alles notwendige erklärt hatte, verließ sie mich. Sie gab mir noch den Hinweis, dass ich mich wegen der Corona-Regeln nicht oft aus dem Zimmer begeben sollte solange der Test nicht ausgewertet sei (PCR). Allerdings sagte sie mir, dass ich alsbald zum Erstgespräch bzw. finalen Aufnahmegespräch abgeholt würde.
Das dauert auch nicht lange bis zwei Damen, eine Ärztin und eine Psychologin, erschienen und mich entführten. Vom Gesprächsverlauf und -inhalt erzähle ich natürlich nichts. Es war aber anstrengend, weil es immer wieder das Gleiche war, und mit den Jahren immer mehr geworden war, was ich zu erzählen hatte. Das Gespräch dauert knapp eine Stunde und war extrem anstrengend für mich.
Mein Zimmergenosse
Als ich von dem Erstgespräch irgendwie zu meinem Zimmer gefunden hatte, war dort mächtig was los. Der Zimmergenosse zog wohl ein und die Dame, die mich eingeführt hatte, war auch wieder zugegen. Und noch eine andere Person vom Pflegepersonal. Warum auch immer, aber mein Schrank war umcodiert worden, weil man annahm, dass dieser noch leer war. Ich hatte das Zimmer aufgeräumt verlassen und so war nicht zu sehen, wo ich meinen Schrank hatte.
Zwischen den Damen schaute dann ein freundliches Gesicht hindurch und wir begrüßten uns mit der coronabedingten Knöchel-auf-Knöchel-Handschlag unter Nennung unserer beider Vornamen. Um die wahre Identität des Zimmergenossen zu schützen wird er, wenn es erforderlich sein sollte, als Caputo in den Text aufgenommen.
Ach, es fiel mir direkt ein Stein vom Herzen. Irgendwie hatte ich sofort das Gefühl, dass ich Glück haben würde mit dem Zimmerkumpel. Er hatte eine freie und offene Art, die mir oftmals abgeht, wenn es darum geht, neue Menschen kennen zu lernen.
Ich darf vorwegnehmen, dass ich mit Caputo einen grundsoliden, netten, verständnisvollen, aber auch sensiblen Zimmerkollegen hatte. Mit meinen Nachtwanderungen, meiner Schnarcherei (er schnarcht aber auch), meinen nicht immer sofort erkennbaren Stimmungswechseln, habe ich ihn durchaus strapaziert. Seine Macken konnte ich aber auch ganz gut verkraften über die 6 Wochen. Als Fazit kann ich aus meiner Sicht sagen: besser hätte ich es nicht treffen können.
Wir machten von Anfang an, weil wir beide neu waren, alles zusammen. Wir wurden fast unzertrennlich und tauchten überall im Doppelpack auf. Über die 6 Wochen, die wir zusammen waren, gaben wir schon ein komisches Bild und ein komischen Pärchen ab. Das fiel Mitpatienten, aber auch dem Pflegepersonal und den Ärzten mit der Zeit auf. Der Abschied voneinander nach 6 Wochen, weil Caputo gehen durfte und ich bleiben musste, tat mir mehr weh als ich nach außen zeigen wollte.
Danach ging es aber ziemlich bergab mit mir. Das konnte an der veränderten Medikation liegen, aber auch eben an der veränderten Situation und dem Mega-Sägewerk, mit dem ich dann zwei Wochen lang das Zimmer teilen musste. Das war echt hart. Noch härter als alles andere zuvor.
Der Wochenplan
Bereits am ersten Tag erhielten wir eine Art von Wochenplan. Darin war alles aufgeführt, was es an Terminen und Therapieeinheiten geben konnte. Die für uns relevanten Termin waren im ersten Schwung bereits mit einem Gelbmarker unterlegt, würden sich aber noch verändern, meinte der Pfleger, der uns über die Regeln auf der Station aufklärte.
Im Laufe der 6 Wochen gab es ein Mal in der Woche ein Therapiegespräch auf psychologischer Ebene, eine Einzel-Oberarztvisite und eine Gruppen-Visite. Die Patienten waren in zwei Gruppen aufgeteilt. In jedem Zimmer waren immer zwei Leute aus je einer Gruppe.
Sport ist die beste Medizin. Solch einen Spruch gibt es. Und Sport hatten wir, sofern der Termin nicht ausfiel, zwei Mal in der Woche. Dort spielte ich mit Caputo sehr oft Tischtennis. Zuletzt hatte ich im November 2004 während der Reha am Möhnesee einen Tischtennisschläger in der Hand gehalten. Caputo ist Hobbyspieler und so wurde ich gut gefordert. Zukünftig ist geplant, dass ich im Verein von Caputa ein Probetraining absolviere, denn der Gute ist der Meinung, dass ich einen guten Level habe, um mithalten zu können.
Es wurden auch Angebote für Ergo-Therapie gemacht. Oh Schreck, Bilder malen oder Speckstein bearbeiten oder Töpfern war nicht so mein Ding. Zum Glück gab es die Alternative Handwerk. Ich war beim Einführungsgespräch sofort begeistert und hatte zum Schluss hin 3 Mal in der Woche Handwerk auf dem Wochenplan stehen. Genial!
Gruppentherapien
Die Angebote an Gruppentherapien war recht gut. Es gab eine Angstgruppe, eine Gefühlsgruppe, eine Gruppe für Sozialkompetenz, Männer- und Frauengruppe sowie eine Gruppe, die sich mit Achtsamkeit befasste. Ich war nicht in alle Gruppen dabei, dass wäre zuviel gewesen.
Die Verpflegung
Krankenhausessen hat oftmals einen nicht ganz so guten Ruf. Morgens bekamen wir Brötchen und Brot, Käse und Aufschnitt, Butter, Margarine, Marmelade und Schokocreme. Und zum Abend gab es dieses ebenfalls. Mittags konnte man zwischen 3 Hauptgerichten wählen, wobei eines immer fleischlos für Vegetarier und/oder Veganer war.
Insgesamt darf ich mich nicht beklagen, aber das Mittagessen war für mich als ausgewachsener Mann, der dann teils sportliche Aktivitäten entfalten musste, viel zu wenig. Teilweise hatte ich nach dem Mittagessen noch Hunger.
Das Essen wurde auf dem Zimmer eingenommen. Die geltenden Coronaregeln gestatteten keine Mahlzeiten im Gruppenraum. Einerseits schade, weil Kommunikation gerade beim Essen gefördert wird, andererseits gut, denn so konnten Caputo und ich uns intensiv kennenlernen.
Stationsdienste
Auf der Station müssen verschiedene Tätigkeit von den Patienten durchgeführt und übernommen werden. Dies sei eine therapeutische Maßnahme, wie man uns sagte, keine Schikane. Zu den Diensten zählten:
- Frühstückaufbereitung Buffet
- Frühstücknachbereitung (alles aufräumen)
- Mittagessenaufbereitung Buffet
- Mittagessennachbereitung (alles aufräumen)
- Abendessenaufbereitung Buffet
- Abendessennachbereitung (alles aufräumen)
- Kaffeedienst
- Trinkflaschendienst
- Blumendienst
- Patientenkühlschrank nach Vorgabe aufräumen, Zeugs entsorgen und auswischen
- Patientenschrank auswischen
- Einführungsamt (wenn Neuankömmlinge kamen)
In den ersten Wochen wurde keine Stationsversammlung durchgeführt, sondern die Dienste wurden vom Pflegepersonal zugeteilt. Caputo und ich wurden ab der zweiten Wochen zusammen für etwas eingetragen.
Später wurden wieder Stationsversammlungen durchgeführt, in denen man sich für einen Dienst melden konnte. Wer meinte, sich drücken zu können, wurde als Stellvertreter eingeteilt. Jeder musste irgendetwas machen. Viele Patienen verstanden dies nicht und staunten dann nicht schlecht, wenn ihr Name bei einem der ungeliebten Dienste auftauchte, weil sich vorher keiner dafür gemeldet hatte.
freie Zeit
Bedingt durch die Lage meiner Termine hatte ich teiweise bis zu 3 Stunden freie Zeit. Ein ähnliches Schicksal teilte auch Caputo. Auch durch diese viele Zeit, die wir für uns gewinnbringend verbrachten, später sogar mit Fotowalks, lernten wir uns immer besser kennen. Mir tat die freie Zeit gut, denn wenn wir auf dem Zimmer blieben, konnte ich an die Aufarbeitung meines Lebens gehen, was eine Aufgabe aus den Einzeltherapiegesprächen war.
Die Nächte der ersten drei Wochen
Die Woche vor dem Anruf der Oberärztin hatte ich mit dem Einschlafen nicht so große Probleme. Das Durchschlafen war ungenügend, aber die unruhigen Beine und Arme traten nicht auf. Erst in der Nacht nach dem Anruf war der Horror wieder da. Bis 4 Uhr in der Früh versuchte ich in den Schlaf zu kommen, um dann unruhig für zwei Stunden schlafen zu können.
Von meinem Problem musste ich meinem Zimmerkollegen erzählen, bevor es in die erste Nacht ging. Ich konnte ihm ansehen, dass er etwas entsetzt war. Das war verständlich, denn wer ist schon gerne mit jemandem auf dem Zimmer, der die ganze Nacht durchs Zimmer dackelt.
Und es sollte so kommen wie es kommen musste. Im Grunde genommen war es gut, denn so konnte das Pflegeteam alles aufzeichnen. Die wachen Stunden im Bett, meine Runde, ich die später auf dem Stationsflur drehte, weil ich Caputo nicht immer stören wollte. Es musste für ihn wirklich unangenehm sein, wenn ich keine 50 cm von seinem Bett entfernt eine Kurve lief. Ich fühlte mich auch deswegen nicht gut, aber Caputo versicherte mir immer wieder, dass alles kein Problem für ihn wäre.
Dreieinhalb Wochen lang hatte ich die größten Probleme. Jede Nacht war ich unterwegs. Jeder Nacht hatte max. 3 Stunden Schlaf für mich. Und dennoch bin ich nicht zusammengebrochen. Aber es ging mir nicht wirklich gut. Es gab sogar wieder zwei Nächte, in denen ich gar nicht schlafen konnte.
Selbst nach einem 20-km-Marsch war ich nicht in den Schlaf zu bekommen. Wäre Caputo nicht an meiner Seite gewesen, hätte ich wer weiß was gemacht.
Ich war doch extra in die Klinik gegangen, um von diesem Elend erlöst zu werden. Es ist richtig, Medikamente, besonders Antidepressiva, brauchen je nach Mensch 2 bis 4 Wochen bis sich eine Wirkung entfalten kann und das Blut einen entsprechenden Wirkstoffspiegel hat.
Diese Information, die ich aus Einzel- und Gruppenvisite erhielt, machte mir die Nächte aber nicht angenehmer. Es war ein absoluter Horror. Die Wirkung, besonders des Medikaments, welches ich zur Nacht nahm, setzte ein, aber nicht genug, um meinen lädierten Körper, oder war es doch der Geist, in den Schlaf zu bringen. Der Körper war hundemüde, aber der Kopf hatte ein kristallklares Fenster. Und durch dieses Fenster mussten meine Augen schauen. Kein Schlaf, nur Elend und dunkelste Gedanken. Horror! Hätte ich von all diesen Gedanken etwas berichtet, wäre ich wahrscheinlich eine Etage tiefer einquartiert worden.
Ich verstehe es immer besser, dass Schlafmangel und Schlafentzug eine Foltermethode sind. Das waren die drei härtesten Wochen meines Lebens - gefolgt von den 4 Wochen vor der Einweisung vom 18.03 bis zum 18.04.2022. Nie wieder möchte ich solche Zeiten durchmachen müssen.
Die Nächte der zweiten drei Wochen
Kurz vor einem Wochenende ergab es sich, dass ich keine unruhigen Beine hatte. Die Mediaktion war verändert worden. Ich erhielt morgens mehr und abends mehr. Ob es daran gelegen hatte, kann ich nicht mehr sagen, jedoch hatte ich eine Nacht, in der ich sehr schnell einschlafen, aber wieder nicht durchschlafen konnte. Eine Schlafdauer von knapp 3 Stunden war für mich aber schon Luxus.
Die nächste Nacht hatte aber wieder die unruhigen Beine. In der Oberarztvisite war nicht so gelaufen, wie ich es erwartet hatte. Vielleicht hatte die Oberärztin einen schlechten Tag erwischt. Diesen an einem kränkelnden Patienten auszulassen ist aber doch etwas merkwürdig. Ich stand nach der Visite total unter Stress ,und kam mir wieder wie ein Schuldiger vor. War ich als Kranker schuldig? Und dieser Stress, gepaart mit zwei, drei anderen Gegebenheiten, ließ mich die Nacht wieder unruhig sein. Stress. Ja, Stress ist der Faktor. Ich leide u.a. unter Dauerstress!
Die Nacht danach war dann wieder gut - und das für die nächsten 3 Wochen bis zur Entlassung von Caputo. Gut ist aber relativ. Ich konnte schnell einschlafen. Die Medikation wurde um 21.00 Uhr gegeben. Um spätestens 21.30 Uhr schlief ich einfach weg. Leider war die Schlafdauer nicht ausreichend. Spätestens 2.30 Uhr war ich wieder wach und konnte nicht mehr einschlafen. Es war fiel zu wenig Schlaf, so konnte ich mich nicht erholen, geschweige irgendwie gesund werden.
Die letzten zwei Wochen
Im Gegensatz zu Caputo musste ich zwei Wochen und einen Tag länger bleiben. Das hatte für mich den Nachteil, dass ich mich an einen anderen Zimmerkollegen würde gewöhnen müssen. Der mir zugeteilte Zimmerkollege war nicht neu, sondern musste aus dem Nachbarzimmer zu mir umziehen. Er war lieb und nett, aber schnarchte für Zehn. Es halfen auch keine Ohrstöpsel. Und so sehnte ich mich händeringend darum, dass ich endlich würde nach Hause gehen können. Ich brauchte Schlaf, Schlaf, Schlaf!
Mitpatienten
Über die Mitpatienten möchte ich nur soviel sagen, dass sehr viele von ihnen ganz normale Menschen waren, die mit ihrem jeweiligen Leiden in die Klinik gekommen waren. Da ich selber gegenüber anderen Menschen zurückhaltend bin, entwickelten sich nur einige engere Bekanntschaften. Und diese taten mir gut. Natürlich gab es immer wieder Menschen, die egoistisch waren. Davon gab es auch welche - leider.
Konkurrenz für Caputo
Es gibt noch eine Sache, die mich zutiefst berüht hatte. Während einer Gruppensitzung in den ersten Wochen wurde nach dem jeweiligen Befinden gefragt. Wegen meiner Nichtschlaferei ging es mir an dem Tag nicht wirklich gut und dieses tat ich auch kund. Irgendwie war ich mies drauf und schilderte dabei auch meine Probleme inmitten von Menschen zu sein und mich immer klein zu fühlen.
Neben mir saß eine Mitpatientin, die nach mir an der Reihe war. Sie erzählte was von sich, drehte sich dann zu mir, wir waren ca. 1,5 m voneinander entfernt und meinte, sie müsse mir mal was sagen. Was sie mir sagte, werde ich hier nicht mitteilen. Es sei nur soviel verraten, dass sie mir die Augen bzw. die Ohren geöffnet hatte und mir klarmachte, wie sich mit sah und einschätzte. U.a. hätte ich eine gute Stimme. Ja, vor 3 Jahren hatte mal jemand anders gesagt, ich könnte als Radiomann meine Brötchen verdienen.
Nach der Sitzung bat ich die Dame dann um ein Gespräch unter 4 Augen. Daraus entwickelte sich eine gute Beziehung während ihres Aufenthalts in der Klinik. Leider wurde sie aber nach 2 weiteren Wochen aus der Klinik entlassen.
Wenn Du das liest, liebe Hummel, dann sei gewiss, dass ich Dir von Herzen für Deine Worte in der Gruppensitzung - und auch danach - dankbar bin.
Pflegeteam, Ärzte und Psychologen
Ohne diese Menschen, die hochprofessionell in einem Hamsterrad arbeiten, wären gute Aufenthalte in der Klinik, die den Menschen, die Hilfe brauchen, helfen sollen, nicht möglich. Natürlich werden ich keine Namen oder sonstiges nennen. Aber jeder Einzelne dort macht einen megaguten Job. Das ist für den Patienten nicht immer ersichtlich. Und die notwendige Distanz zwischen Patient und Fachpersonal ist ungeheuer wichtig. Denn nur so können die Verhaltensweisen der Patienten erkannt, dokumentiert und möglichst, wenn sie negativ bewertet werden, therapiert werden.
Ich danke allen, die mich dort 8 Wochen lang unterstützt, dann und wann gefoppt, aber auch als hilfebedürftigen Menschen behandelt haben.
Fazit
Insgesamt war ich 8 Wochen und einen Tag in der Klinik auf der Station Anastasia. Mein Hauptproblem der unruhigen Arme und Beine konnte, wahrscheinlich auf Grund der Medikamente, ausgeschaltet werden. Es wird nicht weg sein, denn es steckt zu viel anderes dahinter. Das andere wurde mir im Laufe der ersten drei Wochen überdeutlich vermittelt. Es war eine harte Arbeit, die ich mir dort auferlegt hatte. So hart, dass meine Psychologin mich bat, mich nicht weiter unter Stress zu setzen.
- Ich konnte lange Zeit nicht lesen. Das trat in der Klinik wieder auf. Also sollte ich es wieder sein lassen.
- Ich arbeitete auf Wunsch der Psychologin meine Lebenslinie auf. Das tat ich mit Wonne und sehr ausführlich, um es endlich aufgeschrieben zu haben. Auch das sollte ich lassen.
- Um mich abzulenken, löste ich Kreuzworträtsel. Hier offenbarten sich wieder einmal meine Konzentrationsprobleme. Ich sollte es lassen.
Stress, Dauerstress über Jahrzehnte, nicht nur Jahre oder Monate, über Jahrzehnte haben mich kaputt gemacht. Es ist nicht nur die Familie, die ich nie hatte. Es ist nicht nur die Arbeit, die mich teils überfordert hatte in jungen Jahren, und in den letzten Jahren zerrissen hat.
Es war und ist der verbissene und gnadenlose Kampf gegen das Stottern. Heute bin ich 57,5 Jahre alt. Seit meinem 5. Lebensjahr kämpfe ich gegen das Stottern, gegen seelische und körperliche Gewalt, die mir angetan wurde, gegen die Erinnerungen, gegen Freitodgedanken, aber für ein gutes und zufriedenes Leben. Der Kampf ist nicht beendet, er ist im vollen Gange. Ich kann flüssig und artikuliert, also verständlich sprechen, aber es hat mich mein Leben gekostet.
Ich habe einiges aus der Klinik mitgenommen. Einen neuen Freund, dem ich vieles verdanke, von dem er gar nicht weiß, was es ist, eine Freundin, die immer ein offenes Ohr hatte und hat, trotz ihrer eigenen Probleme, und Pläne für die Zukunft. Und das sind:
- Ausbau des Fotografiehobbys
- Tischtennis spielen
- ausgedehnte Radtouren fahren
- Podcasts mit Caputo sprechen
- mich bei Hörspielverlagen bewerben
- selber Hörspiele produzieren
- handwerklich tätig sein
- viel weniger am Computer hocken
- die Chance nutzen, wieder ins Berufsleben einsteigen zu können
- mir meine Auszeiten zu gönnen
Am Montag, 11.07.2022, werde ich in die Tagesklinik Sankt Bernhard gehen. Es wird wieder eine Zeitspanne von 6 bis 8 Wochen sein, die ich dort verbringen muss. Und ich werde dort meinen Kumpel Caputo wiedersehen. Und das ist wunderbar.
Jopii, 10.07.2022