Intro
Nach der Entlassung aus der Klinik, in der ich 8 Wochen lang stationär behandelt worden war, war schon klar, dass ich alsbald in die Tagesklinik würde gehen können. Von einer sofort anschließenden Reha-Maßnahme wurde mir abgeraten, aber in Aussicht gestellt, dass ich in einer Tagesklinik weiter an mir und meinen Themen würde arbeiten können. Die Zusage bzw. die Terminierung einer Reha-Maßnahme würde unter Umständen 4 bis 6 Monate dauern. In meiner derzeitigen Situation wäre das fatal und auch wohl verfrüht. Insofern konnte ich die Empfehlung zur weiteren Behandlung in einer Tagesklinik sehr gut annehmen.
Kaum dass ich zu Hause war, erhielt ich auch schon einen Anruf. Mir wurde mitgeteilt, dass ich am 11.07.2022 um 9.30 Uhr zum Aufnahmegespräch erscheinen sollte. Wow, das ging flott und setzte meiner Stimmung ein kleines leuchtendes Licht auf.
Zwar hätte ich mich gerne noch etwas länger von der sehr anstrengenden Zeit in der Klinik erholt, aber ich war froh, überhaupt die Chance auf die Tagesklinik erhalten zu haben. Dort ist die Wartezeit im Normalfall wesentlich länger. So nutzte ich für mich die Zeit, die Dinge zu tun, die ich noch tun wollte. Ich war und bin sehr froh, diese Gelegenheit nutzen zu dürfen.
Der Stressmodus
Wer die Artikelreihe zum Restless-Legs-Syndrom gelesen hat, der wird wissen, dass ich immer von Wellen berichte, die mich erfassen und mir äußerst schlechte Zeiten bescheren. Wenn es die Welle hochging, war an Schlaf kaum zu denken. Wenn es die Welle runter ging, war das Einschlafen besser, aber das Durchschlafen blieb auf einem gleich schlechten Niveau.
Mit Hilfe meines ab November 2021 geführten Schlafprotokolls, und den Ausarbeitungen zu meiner Lebenslinie, kann ich jetzt nicht mehr von Wellen sprechen, sondern benenne die Wege noch oben auf den Wellenkamm nun Stressmodus. Es ist ziemlich eindeutig, wenn auch nicht wissenschaftlich fundiert ermittelt, dass immer dann, wenn ich in Stresssituationen bin oder komme, der Stressmodus beginnt und mich über längere Zeit nicht mehr loslässt. Insbesondere das Schlafprotokoll zeigte mit dem Wissen, zu welchen Zeitpunkten für mich Stresssituationen aufkamen, diese Auswirkung.
In meinem Artikel zum Aufenthalt in der Klinik habe ich davon berichtet, dass mit dem Anruf der Oberärztin die darauffolgende Nacht der Beginn einer neuen Stressphase, und damit der Einstieg in den Stressmodus, für mehr als 3 Wochen war. Alleine der Anruf, dass ich am kommenden Tag zur Aufnahme kommen sollte, hatte ausgereicht, mich in den Stressmodus zu versetzen.
Die Nacht davor
Am Sonntag vor dem Aufnahmetag bemerkte ich an mir eine Veränderung. Ich war nicht mehr so locker und ruhig, wie es es 2,5 Wochen nach der Klinik zu Hause gewesen war. Irgendetwas ließ mich unruhig und ruhelos werden. Wie immer nahm ich zur selben Zeit meine Abendmedikation und staunte nicht schlecht, dass das Müdigkeitsgefühl nach 30 Minuten nicht einsetzte. Au Backe!
In der Nacht war es analog zu der Nacht vor der Klinikaufnahme: das Einschlafen dauerte über 3 Stunden und das Aufwachen war lange vor dem Weckerklingeln. Knapp 2 Stunden Schlaf konnte ich in der Nacht von Sonntag auf Montag auf mein Schlafkonto buchen. Eindeutig zu wenig.
Und wieder hatten die Medikamente keine Wirkung. Das kannte ich schon aus der Klinik, in der ich 3 Wochen lang nachts wie ein Zombie über die Flure gelaufen war, da die Beine (und die Arme) nicht nur Ruhe kommen wollten.
Einen Vorteil hatte ich aber; die Unruhe in Beinen und Armen kam nicht zurück. Und das ist bis heute zum Glück der Fall.
Die Aufnahme
Im Gegensatz zum stationären Klinikaufenthalt würde ich nun jeden Tag “zur Arbeit fahren” müssen. Nach der langen Zeit im Homeoffice, die ich trotz aller Widrigkeiten genossen hatte, war das ungewohnt. Ich kann schon jetzt, nach einer Woche, sagen, dass auch dieses sehr anstrengend ist, wieder in einen solchen Tagesablauf zu kommen.
Meine Fahrten zur Tagesklinik, und am Nachmittag wieder nach Hause, wollte ich mit dem Pedelec machen. Von meinem Zuhause bis zur Tagesklinik sind es ungefähr 8,5 km. Das war gut zu bewältigen.
Da ich am ersten Tag erst um 9.30 Uhr eintreffen sollte, normalerweise ist der Beginn auf 8.00 Uhr gesetzt, fuhr ich um 8.45 Uhr los und war 30 Minuten später bereits vor Ort. Ich war aufgeregt und leicht nervös. Mir war ansatzweise klar, was alles passieren würde, aber dennoch war eine Spannung da. Das hatte auch damit zu tun, dass ich bereits wusste, dass 4 Patienten in der Tagesklinik sein würden, die ich bereits aus dem stationären Aufenthalt kannte. Mein lieber Caputo, mit dem ich 6 Wochen lang das Zimmer teilen durfte, war auch dabei.
Die Aufnahme selber ging wie erwartet vonstatten. Viel Information, viel Papierkram, den ich teilweise schon vorbereitet hatte, und viele neue Eindrücke setzten mir etwas zu. Da war es wieder, was ich (noch) nicht fassen konnte.
Als ich dann am 16.40 Uhr am Nachmittag zu Hause war, war ich platt. Zwar hatte ich keine Therapie-Einheit mitgemacht, aber ich war geschafft. Um mich wieder zu beruhigen, ging ich in den Keller, um an meinen Holzprojekten weiter zu arbeiten. Das half mir tatsächlich gut und sollte mich von nun an jeden Nachmittag begleiten.
Die weiteren Nächte
Die Nacht von Sonntag auf Montag war nahezu schlaflos geblieben. Zwei Stunden Schlaf sind bei Weitem nicht ausreichend, um sich für den Tag zu rüsten und ohne Blessuren zu überstehen.
Alle weiteren Nächte sind leider ähnlich verlaufen. Die Medikamente am Abend haben keine Wirkung. Ich kann sogar sagen, dass das Medikament, welches ich morgens nehme, keine Wirkung entfaltet, da meine Stimmung stagniert bzw. abfällt. Es soll aber die Stimmung aufhellen.
Ich bin wieder im Stressmodus.
Das Einschlafen ist eine Tortur. Mit dem Wissen, dass um 6.45 Uhr der Wecker klingelt, ich aufstehen und pünktlich in der Tagesklinik sein muss, setzte wieder das ein, was mich scheinbar über Jahre begleitet, vielleicht sogar verfolgt hat. Wenn ich dann gegen 1.00 Uhr oder 1.30 Uhr einschlief, war ich knapp 3 Stunden später wieder wach und konnte nicht mehr einschlafen.
Der erneute Schlafmangel, in der Zeit nach der Klinik konnte ich bis zu 4 Stunden schlafen, setzte mir natürlich auch körperlich zu. Ich bemerkte während der Tage in der Tagesklinik, dass ich massiv körperlich und geistig abbaute. Teilweise konnte ich den Gesprächen in den Therapiesitzungen nicht mehr folgen. Meine Konzentration, die so oder so auf einem schlechten Niveau war, ging noch mehr in den Keller. Ich wurde unruhig. Wenn der Stressmodus noch weiter anhält, ist die Fortsetzung meines Aufenthalts in der Tagesklinik in Gefahr und fraglich.
Der Stressmodus aus meiner Sicht
Nun bin ich kein Mediziner, aber doch Fachmann in eigener Sache. Es ist schon interessant zu erleben, wie sich die vielen verstreuten Mosaiksteinchen, die mein zerrüttetes Leben darstellen, nach und nach zu einem Bild zusammensetzen lassen. Das Bild ist aber noch lange nicht fertig und lässt auch noch nichts erkennen.
In der Zeit nach der Klinik hatte ich nur das Durchschlafproblem. In geringem Ausmaß konnte ich Dinge tun, die Konzentration erforderten. Nur konnte ich nicht lesen. Das Schreiben von Artikeln für meinen Blog hatte ich absichtlich auf den einen Artikel zum Klinikaufenthalt begrenzt. Aber wenn ich im Keller war, musste ich mich auch auf einige Arbeiten konzentrieren.
Dies alles war aber nicht so anstrengend für mich, dass ich stärkere Beeinträchtigungen verspürte. Zu bedenken dabei ist; ich musste nicht sprechen oder mich inmitten von Menschen und Siuationen mit Menschen befinden. Dieses Stresspotenzial war nicht gegeben. Ich musste also nicht darauf achten, mich flüssig und artikuliert zu äußern.
Das war nun in der Tagesklinik ganz anders. Zunächst stresste mich die ungewohnte Situation. Wesentlich mehr belastete mich der Umstand, dass ich nun auf engem Raum umgeben von mir größtenteils fremden Menschen (Patienten wie auch Fachpersonal) sein musste. Ich musste reden, ich musste in die Therapie-Sitzungen, ich musste Präsenz zeigen und mich immer wieder flüssig und artikuliert mitteilen.
Mit der Aufarbeitung meiner Lebenslinie war sehr deutlich geworden, dass, egal um was es in meinem Leben ging, das Stottern eine Vormachtsstellung einnahm und alle Kräfte und Reserven auf sich zog und verbrauchte, die in mir waren.
Mir wurde mit einem Mal klar, dass ich nur dann ein lebenswertes Leben würde führen können, wenn ich nicht im Stressmodus sein müsste.
Der Stressmodus stellt sich immer dann ein, wenn ich Pflichten erfüllen muss, wenn Termine anstehen, wenn ich von Menschen umgeben bin und sprechen muss. Die Angst vor Hohn und Spott ist tief in mir verankert, auch wenn ich dies schon lange nicht mehr wirklich erlebt bzw. mitbekomme hatte. Dennoch ist diese Angst allgegenwärtig. Da hilft es auch nicht, wenn ich positive Rückmeldungen, für dich mich bei allen bedanke, die mir eine Rückmeldung geben, erhalte. Sie freuen mich, sie rühren mich sogar zu Tränen, aber sie können die Wurzeln meiner Sprechangst und meiner Menschenangst nicht erreichen. Diese Wurzeln sind tief verankert und werden mich wahrscheinlich bis an mein Lebensende begleiten.
Was kann ich für mich tun?
Es stellt sich für mich die Frage, ob die Tagesklinik der richtige Ort für mich ist. Wenn der neu erkannte bzw. definierte Stressmodus, also der Ersatz für die Wellen, anhält und ich nicht besser ein- und durchschlafe, werde ich das nicht durchstehen können. Körperlich bin ich eh schon auf dem absteigenden Ast. Wie soll ich mit so wenig Schlaf einen anstrengenden 9-Stunden-Tag durchstehen? Er ist nicht unbedingt körperlich, dafür aber geistig sehr anstrengend.
Wenn ich mal unterstelle, dass sich das legt und ich weiter in die Tagesklinik gehen kann, werde ich natürlich versuchen die mir dort angebotenen Hilfen zu nutzen. Ich werde z.B. zum Neurofeedback gehen. Damit wird gemessen, ob und wann ich mich nicht mehr konzentrieren kann. Das finde ich sehr interessant, denn die Konzentration geht mir oftmals ab. Ich bin mir aber nicht sicher, ob es ausschließlich am Schlafmangel liegt. Vielleicht ist es auch wieder eine somatische Reaktion auf Stressmomente, die Angst, immer wieder aus der Konzentration herausgerissen zu werden, um mich dann wieder neu konzentrieren zu müssen. Das finde ich sehr anstrengend und belastet mich im Alltags-, aber auch insbesondere im Berufsleben sehr stark.
Wenn ich dann am Nachmittag zu Hause bin, werde ich das machen, was mir den Kopf freiräumt. Dazu zählt das Fotografieren, aber auch die Holzarbeiten im Stile von Hundertwasser, oder vielleicht auch die Gitarre und die Querflöte, die ich in der Vorwoche ohne echten Grund vom Speicher geholt hatte. Etwas machen, was keinen Stress verursacht und die Gedanken nicht immer auf die negative Ereignisse und Themen belässt.
Mit der Witterung steht und fällt das Fotografieren und das Radfahren. Ich fahre zur Tagesklinik und zurück. Wenn es aber jetzt zu den angekündigten heißen Temperaturen kommen wird, dann ist es wie in jeder heißen Periode; ich kann dann keine Radtouren fahren, ohne mich (und andere) zu gefährden, weil ich möglicherweise vom Rad falle.
Also beschränke ich mich in der Zeit auf den kühlen Keller und meine Bauprojekte.
Ein Fazit für die erste Woche
Die erste Woche in der Tagesklinik war sehr anstrengend. Anstrengender als erwartet. Es ist alles sehr viel kompakter wie während der stationären Behandlung. Durch die Kompaktheit ist es auch aufwühlender. Die Reaktionen der Mitpatienten war auch ein Stresspotenzial für mich. So viel und so oft weinende Menschen habe ich noch nicht miterleben müssen. Es tut mir so weh, das mit ansehen zu müssen.
Mir selber geht es im Moment nicht mehr so “gut” wie noch vor einer Woche. Die Angst, die Tagesklinik nicht zu überstehen, ist derweil vorherherrschend und belastet mich im Stressmodus, parallel zur Sprechangst. Mir ist nämlich nicht klar was passieren würde, wenn ich die Tagesklinik würde abbrechen müssen oder seitens der Tagesklinikleitung eine Entlassung ausgesprochen würde. Würde ich dann durch das Netz fallen?
Den Stressmodus kann ich selber aktiv nicht beenden. Ich habe derweil noch keine Möglichkeit für mich entdeckt, wie ich ihn beeinflussen könnte. Es helfen die Medikamente derzeit nicht oder kaum. Entspannungstechniken habe keine dauerhafte, sondern nur kurzzeitige Wirkung. Ich kann nur hoffen, dass ich alsbald wieder gut einschlafen und mindestens für 4 Stunden Schlaf finden kann. Kurzzeitig helfen meine Hobbys, die ich für mich alleine machen kann.
Jopii, 17.07.2022
- Teil 01: Restless Leg Syndrom - der Horror
- Teil 02: Restless Leg Syndrom - eine schreckliche Fortsetzung
- Teil 03: Restless Leg Syndrom - nach der Welle ist vor der Welle
- Teil 04: Restless Leg Syndrom - diese Welle war hart
- Teil 05: Restless Leg Syndrom - der lange Ausläufer
- Teil 06: Restless Leg Syndrom - der Weg in die neue Welle
- Teil 07: Restless Leg Syndrom - der Weg endet vor einer Mauer
- Teil 08: Restless Leg Syndrom - die Welle wird zur Strecke
- Teil 09: Restless Leg Syndrom - kein Wellental in Sicht
Klinikaufenthalt: Schlaflos in die Klinik